Chronobiologie: Gesunder Rhythmus heißt gesunder Schlaf
Augen auf. Morgenlicht fällt durch den Vorhangspalt. Der Blick wandert zum Wecker. Punktlandung! In einer Minute wird er klingeln. Viele Menschen kennen das Phänomen, dass sie kurz vor dem Weckerklingeln wach werden – auch dann, wenn die geplante Aufstehzeit vom Gewohnten abweicht, weil sie beispielsweise einen frühen Zug erreichen müssen. Offenbar besitzen wir eine innere Uhr, die ziemlich zuverlässig funktioniert. Mit der Erforschung dieser inneren Uhr beschäftigt sich die Wissenschaft der Chronobiologie. Ihr Name leitet sich von Chronos ab, dem griechischen Gott der Zeit. Schon seit der Antike wusste man, dass alles Leben bestimmten Rhythmen unterworfen ist. Aber erst die Forschungen von Franz Halberg ab den 1950er-Jahren begründeten die moderne Wissenschaft der Chronobiologie. Halberg untersuchte die 24-Stunden-Taktung des Menschen (und vieler anderer Organismen) und führte dafür den Begriff „circadiane Rhythmik“ ein – abgeleitet von „circa“, Latein für ungefähr, und „dies“, Latein für Tag.
Inhalt
Chronobiologie – Der Biorhythmus der Organe
Das klingt zwar kompliziert, meint aber ganz einfach den Rhythmus von Schlafen und Wachen, dem viele andere Vorgänge im Körper folgen. Während wir schlafen, bildet unser Körper neue Zellen und bekämpft feindliche Eindringlinge. Die Leber arbeitet auf Hochtouren an der Entgiftung – weshalb wir Alkohol abends schneller abbauen als morgens. Dafür empfinden wir Schmerz morgens deutlich stärker, und auch Schmerzmittel wirken weniger stark als später am Tag – eine Tatsache, die man sich zunutze machen kann, indem man unangenehme Zahnarzttermine eher auf den Nachmittag legt. Die beste Zeit für Hautpflege durch Peelings oder Ähnliches liegt dagegen am Abend.
Auch die Verdauung arbeitet nicht einfach wie eine Maschine auf konstantem Niveau, sondern läuft in verschiedenen Phasen ab. In den letzten Jahren wurde das zunehmend in Ernährungstipps berücksichtigt. Um die Verdauung und Fettverbrennung möglichst zu begünstigen, so heißt es, sei es günstig, morgens eher kohlenhydratreich und abends proteinreich zu essen. Sogar die Medizin bezieht die Erkenntnisse der Chronobiologie immer stärker mit ein und erforscht, welche Medikamente zu welcher Tageszeit am besten wirken.
Wo sitzt die innere Uhr?
Das Erstaunliche an all diesen Vorgängen: Die 24-Stunden-Taktung bliebe im Großen und Ganzen erhalten. Selbst wenn wir längere Zeit in einer vollkommen dunklen Höhle leben müssten. Aber woher weiß der Organismus ohne den Wechsel von Tag und Nacht, wie viel Zeit vergeht?
Die Erkenntnisse der Chronobiologie zeigen: Jedes Organ, sogar jede einzelne Zelle hat einen Rhythmus. Wir besitzen also nicht eine innere Uhr, sondern unermesslich viele. Doch es gibt einen Haupttaktgeber, der im Gehirn sitzt und all diese Rhythmen ständig synchronisiert. Der sogenannte suprachiasmatische Nucleus (auch SCN genannt) gibt ein zentrales Zeitsignal an die vielen anderen Uhren weiter, die sich daraufhin früher oder später neu stellen.
Ihr Signal bekommt diese Hauptuhr von Sinneszellen in der Netzhaut, die Hell und Dunkel wahrnehmen und auf diese Weise ans Gehirn melden: Es ist Tag! Es ist Nacht! Das ist der Grund dafür, dass sich beispielsweise nach einem Langstreckenflug die inneren Uhren irgendwann dem neuen Tag-Nacht-Rhythmus anpassen – auch wenn das erst einmal ein paar Jetlag-Tage braucht.
Was hat Chronobiologie mit Frühaufstehern und Langschläfern zu tun?
In gewissem Maße ist unser Biorhythmus also flexibel. Er ist außerdem ziemlich individuell. Die meisten kennen das aus dem eigenen Umfeld: Da gibt es die Kollegin, die morgens als Erste da ist und alle später Kommenden unerträglich gut gelaunt begrüßt, und den Morgenmuffel, der erst abends zu Hochform aufläuft. Die Chronobiologie unterscheidet verschiedene Chronotypen, beispielsweise die morgenaktiven „Lerchen“ im Gegensatz zu den „Eulen“, deren produktive Phasen später am Tag liegen.
Im Grundsatz ist der Chronotyp genetisch festgelegt, aber wie er sich ausprägt, hängt auch von der Lebensphase ab. Babys starten mit einem Vier-Stunden-Rhythmus von Trinken und Schlafen ins Leben und entwickeln sich dann zu ausgesprochenen Lerchen, die ihre Eltern jahrelang am genüsslichen Wochenend-Ausschlafen hindern. In der Pubertät kehrt sich das um. Die Hormone sorgen jetzt dafür, dass die Jugendlichen morgens schwer aus den Federn kommen und abends ebenso schwer ins Bett finden. Im Alter entwickeln sich die meisten Menschen wieder zu Lerchen.
Die Chronobiologie und die Realität
Leider können bei uns die wenigsten ihre chronobiologischen Bedürfnisse ausleben. Der bei uns übliche Schulbeginn um 8 Uhr oder noch früher läuft dem Rhythmus von Jugendlichen komplett zuwider. Millionen Erwachsene müssen ganz gegen ihre eulenhafte Veranlagung morgens sehr früh anfangen zu arbeiten, während Lerchen Gefahr laufen, am Wochenende in einen „sozialen Jetlag“ zu geraten, weil sie ihren Partnern oder Freunden zuliebe abends zu lange aufbleiben. Die Folgen in all diesen Fällen: Schlafmangel, Müdigkeit und das Gefühl, gegen den eigenen Rhythmus zu leben.
Um wie viel schlimmer ergeht es aber Polizistinnen und Krankenpflegern, Bandarbeitern und Pilotinnen! Sie alle müssen wechselnde Schichtdienste oder ständig veränderte Tag-und-Nacht-Zeiten aushalten. Sie bezahlen dafür auf Dauer mit ihrer Gesundheit. Die Chronobiologie zeigt: Wer im Schichtdienst arbeitet, hat ein höheres Risiko für Schlafstörungen und in der Folge für psychische Krankheiten, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und sogar Krebs.
Wenn der Mensch die Rhythmen manipuliert: Stichwort Schlafstörungen
Aber auch in anderen Bevölkerungsgruppen ist gesunder, regelmäßiger und ausreichender Schlaf längst eher die Ausnahme als die Regel geworden. Unser Lebensstil bringt unsere inneren Uhren aus dem Takt: Weil wir uns fast nur noch in geschlossenen Räumen aufhalten, bekommt unsere Hauptuhr, der SCN, tagsüber nicht ausreichend Licht. Andererseits sind die Nächte gerade in Städten durch Laternen, Leuchtreklamen und Autoscheinwerfer inzwischen fast taghell.
Elektrisches Licht verführt uns Menschen zudem, die Abende immer weiter zu verlängern. Und um unsere Körper vollends zu verwirren, starren wir viele Stunden am Tag auf beleuchtete Bildschirme und Displays. Unsere Tage sind dämmerdunkel, unsere Nächte dämmerhell, und unser innerer Taktgeber empfängt kaum noch eindeutige Signale. So werden auch die inneren Uhren immer schlechter synchronisiert. Kurz: Es herrscht chronobiologisches Chaos.
Kein Wunder, dass immer mehr Menschen Schlafstörungen entwickeln! Zum Glück kann die Chronobiologie nicht nur die Ursachen aufzeigen, sondern kennt auch Rezepte dagegen. Die meisten sind so einfach wie einleuchtend: Der gute Schlaf steht und fällt mit einem ausgeglichenen Rhythmus. Wenn Sie schlecht schlafen, dann bringen Sie möglichst viel Regelmäßigkeit in Ihren Tagesablauf und sorgen Sie für deutliche Helligkeitsunterschiede zwischen Tag und Nacht!
Das können Sie in Sachen Chronobiologie für einen besseren Schlaf tun
Das können Sie konkret tun, um Ihre inneren Uhren wieder zu harmonisieren:
- Stehen Sie jeden Tag ungefähr um die gleiche Zeit auf. Langes Ausschlafen am Wochenende führt dazu, dass Sie abends später müde werden und zu Beginn der folgenden Woche einen Mini-Jetlag entwickeln.
- Versuchen Sie, Ihre Mahlzeiten regelmäßig einzunehmen, möglichst mit mehrstündigen Pausen dazwischen. Die letzte Mahlzeit sollte nicht zu schwer sein und einige Stunden vor dem Schlafengehen gegessen werden. Auch die Sporteinheiten sollten möglichst nicht abends liegen.
- Tanken Sie tagsüber so viel Licht wie möglich. Und das heißt: rausgehen, wann immer es möglich ist! Draußen ist es selbst an bedeckten Tagen um ein Vielfaches heller als in Innenräumen. Alternativ oder besser zusätzlich können Sie sich auch eine Tageslichtlampe anschaffen und regelmäßig „Lichtduschen“ nehmen.
- Schalten Sie spätestens eine Stunde vor dem Ins-Bett-Gehen elektronische Geräte wie Fernseher, Computer, Tablet und Smartphone aus. Falls Sie wirklich unbedingt noch auf Monitore oder Displays gucken müssen, dann regeln Sie den Blaulichtanteil herunter.
- Dimmen Sie auch in den Wohnräumen abends die Lichter allmählich beziehungsweise nutzen Sie Lampen mit möglichst warmem, gelblichem Licht.
Chronobiologie und Sommerzeit
Doch bei aller chronobiologischen Achtsamkeit: Unser Leben hat sich weit vom Takt der Natur entfernt. Vor der Erfindung des elektrischen Lichts standen die meisten Menschen mit der Sonne auf und gingen mit ihr schlafen. Das hieß auch, dass man im Winter mehr ruhte als im Sommer. Heute fühlen sich zwar immer noch viele in der dunklen Jahreszeit deutlich müder als in der hellen, aber Rücksicht nehmen kann darauf kaum jemand.
Im Gegenteil: Mit der alljährlichen Umstellung der (äußeren) Uhren auf die Sommerzeit mutet man Menschen zu, ihren Biorhythmus volkswirtschaftlichen Zielen unterzuordnen. – In diesem Fall dem Energiesparen, obwohl sich dieses Ziel durch die Zeitumstellung nie hat verwirklichen lassen. Dafür leiden viele Leute jährlich wochenlang darunter, dass ihre innere Uhr nicht mit der äußeren synchron geht. Kaum haben sie sich einigermaßen daran gewöhnt, werden die Uhren wieder umgestellt.
Immerhin: Die Zeitumstellung soll künftig abgeschafft werden. Vielleicht ist das ja auch den Forschungen von Chronobiologinnen und Chronobiologen zu verdanken, die in den letzten Jahrzehnten nachgewiesen haben, dass Menschen krank werden können, wenn ihr Leben aus dem Takt gerät. Oder umgekehrt ausgedrückt: Ein gesunder Rhythmus trägt eine ganze Menge zu einem gesunden Leben bei.
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