Rein in den Tag – Tipps für einen stressfreien Familienalltag
Ein harmonischer, stressfreier Familienalltag ist der Wunsch vieler Eltern. Zwischen Job, Haushalt, Kinderbetreuung und den unzähligen Verpflichtungen erscheint das gemeinsame Leben jedoch oft chaotisch und überfordernd. Unter dem permanenten Spagat zwischen beruflichen Verpflichtungen und den Bedürfnissen der Familie leiden nicht nur Eltern – auch die Kinder spüren die Unruhe und fühlen sich dadurch gestresst. Dabei steht der Nachwuchs häufig selbst unter Druck. Kinder sollen Leistungen in der Schule erbringen, mit Gleichaltrigen mithalten, sportlich sein und am besten noch ein Instrument erlernen. Die Stunden- und Freizeitpläne sind damit oft voll.
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Influencer-Familien – falsche Bilder erhöhen den Druck
Ein weiterer entscheidender Faktor, der uns das Leben schwer machen kann, ist der moderne Lebensstil. Zwischen ständigen technologischen Ablenkungen und der Überflutung durch Informationen bleibt oft nur wenig Zeit für die Familie. Digitale Geräte können uns zwar miteinander verbinden, aber allzu oft verlieren wir uns in virtuellen Welten, anstatt uns wirklich nahe zu sein. „Dazu erhöht die Selbstinszenierung scheinbar unfehlbarer Influencer-Eltern den Perfektionsdruck im eigenen Leben, sodass immer mehr Familien das Gefühl haben, nicht gut genug zu sein“, sagt Familienexpertin Nora Imlau.
Raus aus der Perfektionsfalle
Und genau diese überhöhten Ideale sind die größten Steine, die Mütter und Väter sich auf dem Weg in einen entspannten Familienalltag selbst in den Weg legen, meint Expertin Nora Imlau. Gut ist nicht mehr genug, alles sollte top sein. Top im Job, perfekte Kinder, eine gut funktionierende Ehe, ein stets aufgeräumtes Heim, am Wochenende in die Berge oder ins Museum und jeden Tag wird selbstverständlich frisch gekocht. Kommen Ihnen diese hohen Ansprüche bekannt vor? Ein harmonisches Familienleben mit entspannten Eltern und zufriedenen Kindern geht anders. Wenn wir uns vom Perfektionismus befreien, kommen Freude und Leichtigkeit ins gemeinsame Leben zurück.
Wie das gelingen kann? Darüber sprachen wir mit Nora Imlau, Mutter von vier Kindern und einer der wichtigsten Expertinnen für Familienthemen hierzulande. Als Journalistin und Fachautorin schreibt sie unter anderem für die Zeitschrift ELTERN und hat bereits mehrere erfolgreiche Elternratgeber veröffentlicht.
Stressfreier Familienalltag: Interview mit Nora Imlau
Liebe Frau Imlau, ein stressfreier Familienalltag – was bedeutet das für Sie?
Ich glaube, frei von Stress kann das Leben mit Kindern nicht sein – dafür prallen im Familienalltag zu viele Temperamente und Bedürfnisse aufeinander. Stressärmer wird das Familienleben jedoch, wenn Eltern lernen, eine gesunde Balance zwischen kindlichen und elterlichen Bedürfnissen zu halten, also weder autoritär durchzuregieren noch sich aufzuopfern.
Wie äußerst sich denn Stress bei Kindern?
Ganz unterschiedlich. Manche werden quengelig, andere aggressiv. Einige werden auch still und ziehen sich in sich selbst zurück, weshalb man ihren Stress oft übersieht. Wir Erwachsenen brauchen deshalb einen wachen, aufmerksamen Blick: Wie geht es meinem Kind? Wirkt es gelöst, mit sich und der Welt zufrieden? Oder macht es eher einen belasteten, unausgeglichenen Eindruck?
Welche Herausforderungen erleben Familien heutzutage?
Oh, sehr viele. Familien stehen unter Druck wie selten. Die Anforderungen unserer Leistungsgesellschaft haben Eltern wie ihren Nachwuchs voll im Griff: Wir sollen erwerbstätig sein und fürs Alter vorsorgen, aber auch genügend Qualitätszeit mit unseren Kindern verbringen. Diese sollen im Bildungssystem funktionieren, Impulskontrolle beweisen, mit langen Betreuungstagen klarkommen. Hinzu kommt in vielen Familien ein starker finanzieller Druck, dazu emotionale Stressfaktoren wie etwa Konflikte über die richtige Erziehung. Zusätzlich dann noch die angespannte politische Weltlage und die Sorgen aufgrund der Klimakrise … darum sind Familien heute wirklich nicht zu beneiden.
Wie wichtig ist unverplante, freie Zeit für Kinder?
Sehr wichtig. Die Tage sind heute extrem durchgetaktet, Kinder haben teilweise einen Stundenplan wie kleine Manager. Dabei bleibt dann oft die Zeit zum freien Spielen, Entspannen und Kuscheln auf der Strecke. Gleichzeitig sind Kinder auch sehr verschieden: Manche brauchen mehr Action als andere. Wollen sie aus eigenem Antrieb dreimal die Woche zum Schwimmtraining, sollten wir ihnen das nicht verbieten. Am besten, man spricht regelmäßig mit dem Kind über seine Hobbys, wie es sich dabei fühlt. So kann man bei Anzeichen von Stress oder Unbehagen schnell reagieren und gemeinsam eine ausgewogene Balance finden, damit genügend Raum für Entspannung und freies Spiel bleibt.
Muss ein Kind zwangsläufig ein Hobby haben?
Nein. Also: kein Hobby im klassischen Sinne. Natürlich ist die Kindheit ein Lebensabschnitt, in dem es auch wichtig ist, eigene Leidenschaften zu entdecken. Eins meiner Kinder zeichnet zum Beispiel gerne, ein anderes ist eine richtige Leseratte, ein drittes schwärmt für Computerspiele wie Minecraft. All das sind Hobbys, und die sind wichtig. Aber dafür muss ein Kind nicht jede Woche zur selben Zeit dieselbe Freizeitaktivität ausüben. Lassen Sie das Kind seine Hobbys selbst wählen. Wenn Kinder die Möglichkeit haben, ihre Interessen zu entdecken und ihre eigenen Entscheidungen zu treffen, sind sie eher motiviert und weniger gestresst. Auch sollten der Spaß und die Freude an der Aktivität im Vordergrund stehen.
Wie gelingt es, den Alltag trotz Schulaufgaben und Hobbys stressfrei zu gestalten?
Wie gesagt: Stressfrei zu leben, ist eine Illusion. Lebendig zu sein, heißt, immer wieder Stress zu erleben – gerade im Alltag mit Kindern. Aber wir können den Druck rausnehmen, indem wir den Alltag entzerren. Mehr Pausen einplanen, mehr Nichtstun. Dabei sollten wir vor allem großzügiger mit uns selber sein und es uns bewusst leicht machen. Auch mal eine Tiefkühlpizza servieren, statt erschöpft noch frisch zu kochen. Oder den Nachwuchs mal vorm Fernseher parken, um einen Moment Pause zu haben. All das darf uns entlasten und macht uns nicht zu schlechten Eltern.
Sollten Kinder mehr Aufgaben übernehmen, um die Eltern zu entlasten – oder bedeutet das zusätzlich Stress?
Das kommt sehr darauf an, wie alt die Kinder sind und welche Persönlichkeiten sie haben. Mit manchen klappt es prima, sich Haushaltsaufgaben gemeinsam aufzuteilen. Mit vielen klappt es gar nicht, und es gibt ständig Streit. Ich finde es wichtig, dann nicht in Unterstellungen zu verfallen. Kinder, die ihre Aufgaben nicht erledigen, sind oft einfach noch sehr verträumt und tun sich schwer mit der Impulskontrolle. Das ist keine böse Absicht. Dann brauchen sie keine Vorwürfe, sondern dass wir sie enger begleiten.
Wie wichtig ist Kommunikation innerhalb der Familie, um Stress zu minimieren? Gibt es besondere Gesprächsregeln oder Rituale?
Kommunikation ist der Schlüssel zu einem gelingenden Familienalltag. Dabei ist auch die Rolle der nonverbalen Kommunikation nicht zu unterschätzen: eine Umarmung, ein liebevoller Blick. Manche Familien machen einmal in der Woche Familienrat. Manchen hilft dabei ein Redestock, der markiert, wer wann dran ist. All das ist aber nicht notwendig, um miteinander in Verbindung zu bleiben. Dafür reichen auch ganz ungezwungene Gespräche am Abendbrottisch ohne feste Regeln. Hauptsache, man spricht regelmäßig miteinander, tauscht sich aus, hat stets ein offenes Ohr für den Nachwuchs. Schaffen Sie einen Raum, in dem alle Familienmitglieder ihre Gedanken und Gefühle frei äußern können. Hören Sie einander aufmerksam zu und versuchen Sie, die Perspektive des anderen zu verstehen, ohne sofort zu urteilen.
Welche Aktivitäten oder Hobbys kann man als Familie unternehmen, um gemeinsame Bindungen zu stärken und Stress abzubauen?
Was immer einem Spaß macht! Wirklich, das Wichtigste ist, dass wir Eltern nicht irgendwelche Aktivitäten planen, auf die wir selbst gar keine Lust haben. Kinder spüren das! Und sie freuen sich, wenn wir mit ihnen das teilen, wofür unser Herz brennt. Tolle gemeinsame Familienhobbys können Outdoor-Aktivitäten wie Radfahren oder Geocaching sein, aber auch Städte erkunden oder Pilze suchen. Ebenfalls schön: gemeinsam kochen und backen, singen und musizieren, basteln und bauen. Die Bindung wird aber auch gestärkt, wenn wir uns gemeinsam aufs Sofa kuscheln und zusammen einen Film schauen. Hauptsache, alle entspannen sich miteinander und haben Freude am Zusammensein. Wichtig ist: Nehmen Sie sich Zeit, um als Familie zusammenzusitzen und im Moment zu sein, ohne von anderen Dingen abgelenkt zu sein.
Ein letzter persönlicher Tipp von Ihnen?
Einfach mal fünfe gerade sein lassen! Der meiste Stress innerhalb einer Familie entsteht aus Perfektionismus, aus der Idee, keine Fehler machen zu dürfen. Dabei sind Fehler menschlich und Unperfektheiten so charmant. Für eine glückliche Kindheit brauchen Kinder keine Eltern, die alles richtig machen, sondern solche, denen es selbst gut geht und die es sich auch mal leicht machen können. Das ist eigentlich das Wichtigste: sich nicht selbst das Leben schwer zu machen.
Herzlichen Dank für das Gespräch, Nora Imlau!
Stressfreier Familienalltag: Acht hilfreiche Tipps
Hier haben wir nochmals acht Tipps zusammengestellt, wie Sie einen stressfreien Familienalltag erreichen können.
1. Organisation ist das A und O
Ein gut durchdachter Tagesablauf kann Wunder wirken. Erstellen Sie einen Familienkalender, in dem Sie alle Termine und Verpflichtungen festhalten. So behalten Sie den Überblick über den Tag und können Doppelbelastungen vermeiden. Planen Sie auch Zeit für die Familie ein, in der Sie gemeinsame Aktivitäten genießen können.
2. Prioritäten setzen
Lernen Sie, Prioritäten zu setzen. Nicht alles, was erledigt werden kann, muss auch erledigt werden. Überlegen Sie, welche Aufgaben wirklich wichtig sind und welche sich vielleicht auch einmal verschieben lassen. Die Qualität der gemeinsamen Zeit ist oft wichtiger als die Quantität.
3. Kommunikation ist der Schlüssel
Offene und ehrliche Kommunikation ist entscheidend, um Konflikte zu vermeiden. Sprechen Sie miteinander, hören Sie einander zu und respektieren Sie die Bedürfnisse und Meinungen jedes Familienmitglieds. Konflikte lassen sich so frühzeitig lösen, bevor sie zu größeren Problemen werden.
4. Stressfreier Familienalltag: Zeit für Entspannung einplanen
Stress kommt oft durch übermäßige Anspannung und mangelnde Entspannung zustande. Planen Sie bewusst Zeit für Ruhe und Entspannung ein, sei es in Form von Familienausflügen, gemeinsamen Spielen oder einfach einem gemütlichen Abend zu Hause.
5. Bildschirmzeit begrenzen
Besonders in der heutigen Zeit sind Bildschirme allgegenwärtig. Begrenzen Sie die Bildschirmzeit Ihrer Kinder und schaffen Sie stattdessen Raum für kreative Projekte, Sport und soziale Interaktion. Gemeinsame Aktivitäten ohne Bildschirme können das Familienleben bereichern.
6. Flexibilität bewahren
Trotz aller Planung und Organisation wird es immer wieder unvorhergesehene Herausforderungen geben. Bleiben Sie flexibel und passen Sie sich den Gegebenheiten an, ohne sich übermäßig zu stressen.
7. Gemeinsame Zeit schätzen
Ihr Kind wird nicht für immer ein Kind sein. Schätzen Sie die Momente, die Sie gemeinsam verbringen können, und schaffen Sie Erinnerungen, die ein Leben lang halten.
8. Stressfreier Familienalltag: Hilfe annehmen
Es ist keine Schande, um Hilfe zu bitten, sei es von Verwandten, Freunden oder professionellen Dienstleistern. Wenn der Stress überhandnimmt, kann eine externe Unterstützung den Familienalltag erheblich erleichtern. Das kann eine Unterstützung beim Putzen sein, Nachbarn, die mal mit dem Hund rausgehen, oder andere Eltern, mit denen Sie Fahrdienste abwechseln können.
Über unsere Interviewpartnerin Nora Imlau
Die Journalistin und Autorin Nora Imlau ist eine der bekanntesten Familienexpertinnen Deutschlands. Als Kolumnistin bei der Süddeutschen Zeitung und dem Magazin ELTERN sowie als Familienexpertin im MDR Fernsehen nimmt sie regelmäßig zu aktuellen Erziehungsfragen Stellung. Darüber hinaus hält sie Vorträge und Workshops für Eltern und Fachkräfte zu pädagogischen Themen. Nora Imlau lebt mit ihren vier Kindern und ihrem Mann in Süddeutschland.
Lese-Tipp: Nora Imlau: „Mein Familienkompass“, Ullstein Verlag, 2020.