„Unser Schiff ist von Piraten gekapert worden“
Leonardo Langheim, Mitglied der Waschbär-Geschäftsleitung, beschreibt eindrücklich, wie er die ersten Tage und Wochen nach dem Hackerangriff erlebt hat, welche Solidarität das Unternehmen erfahren hat und was die Lernerfahrungen aus dieser Zeit sind. Ein Gespräch über Verletzlichkeit, Vernetzungen und Veränderung.
Waschbär-News (WB-News): Cyberkriminalität, mag man denken, betrifft nur Weltkonzerne. Jetzt war auch Waschbär von einem Hackerangriff betroffen. War das eine Art Erweckungserlebnis?
Leonardo Langheim (LL): Absolut! Aber vor der Erweckung stand der tiefe Schock. Das ist ähnlich wie bei Einbrechern, die in ein Haus eindringen, in den persönlichen Sachen wühlen und Dinge entwenden. Uns war aber auch schnell klar: Wir müssen in die Tat kommen und aus eigener Kraft etwas verändern.
WB-News: Was sind die Konsequenzen?
LL: Wir hatten das Thema „Internet-Sicherheit“ schon vor dem Hackerangriff auf unserer Agenda und waren im Prozess. Jetzt hat das natürlich einen ganz anderen Stellenwert – auch im Sinne unserer Mission: Schützt, was Ihr liebt. Deshalb ziehen wir Maßnahmen vor, die wir ohnehin vorgehabt hatten, um die Sicherheit und Leistungsfähigkeit unserer Systeme für die Kundinnen und Kunden und die Mitarbeitenden zu gewährleisten.
WB-News: Waschbär fährt die IT-Systeme nach und nach wieder hoch, aber noch immer in einem Notbetrieb. Was bedeutet das für die Kundschaft?
LL: Nach dem Hackerangriff am 19. Mai ging ja erst einmal gar nichts. Wir hatten keinerlei Systeme, die wir sonst für unsere Arbeit nutzen. Dazu kam der Schock, noch nicht einmal kommunizieren und nach außen sagen zu können: Wir sind da! Nachdem wir die ersten Schäden begutachtet hatten und wussten, dass es aufgrund von Sicherheits-Updates wieder vorangehen kann, haben wir begonnen die Kundinnen und Kunden zu informieren. Nach den ersten Tagen haben wir ein Notsystem aufgebaut und ein Notfallteam, das jeden Tag intensiv arbeitet. Mittlerweile sind wir wieder in einem geplanten Prozess. Es wird aber noch den Sommer dauern, bis wir wieder zur alten Leistungsfähigkeit zurückkommen. Immerhin: Unser Hauptkatalog ist jetzt in Druck und wird ganz bald bei den Kundinnen und Kunden ankommen.
WB-News: Was waren denn die größten Lerngeschenke in dieser Zeit?
LL: Ich verwende gern das Bild vom Schiff, das auf einer Entdeckungsreise ist und von Piraten angegriffen wird. Dann hat man gewisse Schäden wie einen Wassereinbruch, will und muss aber dennoch vorankommen. Unser größtes Learning war: Wir müssen jetzt funktionieren und uns an die Regeln halten, die wir lange geübt haben. Dafür gibt es eine Gruppe, die sagt, was die nächsten Schritte sind – zentral ist dabei eine verbindliche, knappe und schnelle Kommunikation. Das zweite Learning war die offene Kommunikation nach außen, bei der wir ehrlich gesagt haben, was passiert ist. Der dritte Schritt ist zu fragen: Was kommt denn danach? Was bedeutet die Erfahrung für eine veränderte IT-Infrastruktur und was hat das für Folgen für die kommende Saison? Daran müssen wir heute schon arbeiten.
WB-News: Wie wird es weitergehen in den nächsten Wochen und Monaten?
LL: Die Kundinnen und Kunden können schon jetzt wieder ganz normal im Onlineshop bestellen und die Waren, die da sind, liefern wir. Über den Sommer werden wir in einem erweiterten Notbetrieb sein. Wir handeln nach dem Prinzip: Sicherheit geht vor Schnelligkeit. Im September beginnt das Wintergeschäft, bis dahin wollen wir zurückkehren zu einer neuen Leistungsfähigkeit.
Weitere Beiträge aus unseren Waschbär-News finden Sie hier:
So hat unsere Gärtnerei den Pflanzenversand trotz Hackerangriff gestemmt
Einblicke in die Impfstraße für Notebooks und Rechner
Geschäftsführerin Katharina Hupfer im Interview über den Umgang mit dem Hackerangriff
Der Waschbär-Katalog und die digitale Transformation
So funktioniert’s: Wie ohne digitale Daten gearbeitet werden kann
Das haben die Waschbär-Mitarbeitenden aus der Krise gelernt